Das „zweite Auge“ des Orkans

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Was sich da zusammenbraute hatten wir in unserem Seglerleben bisher nur auf Bildern gesehen: ein Hurricane im Mittelmeer, „Medicane“ genannt. Über unsere Wetterseiten kam folgende Nachricht: „Im Ionischen Meer braut sich zur Zeit ein sehr gefährlicher Sturm zusammen. Da die Wassertemperaturen dort über 27 Grad liegen, bekommt der Sturm, der sich aus einem „normalen“ Tief entwickelt, immer mehr tropische Eigenschaften. Er wird somit zu einem mediterranen Hurrikan, einem Medicane.“ Der Medicane bekam den Namen Cassilda. Auch wenn die Zugrichtung von Cassilda noch nicht ganz sicher war, so sollten damit Orkanböen von bis zu 180 hm/h und bis zu 10 Meter hohe Wellen einher gehen. Und das würden wir an der Westküste der Peleponnes ungeschützt abbekommen. 

Also brachen wir noch am Nachmittag von Methoni auf nach Norden. Chris und Leni hatten ihre Flüge schon nach Zakynthos umgebucht, die Richtung stimmte also. Beim kleinen Inselchen Profi fanden wir keinen geeigneten Übernachtungsstopp und so fiel spontan, rückblickend müssen wir sagen „Gott sei Dank“, der Entschluss, gleich die Nacht 125 Seemeilen bis zur Insel Ithaka durchzufahren. Dort waren nach den aktuellen Vorhersagemodellen zwar noch kräftige Böen und Regen zu erwarten aber wir wären weit genug weg von den schlimmsten Auswirkungen. Zudem ist der Haupthafen Vathi ein perfektes, rundum geschütztes „Hurrican Hole“. Mit Chris und Leni an Bord konnten wir uns die Nachtwachen prima einteilen. Als gegen Mittag der Anker dort fiel und jede Menge Kette gesteckt wurde, entspannten sich erst einmal alle, bis gegen Abend die neueste Wettervorhersage kam… .

Jetzt wurde deutlich, dass Cassilda noch nördlicher ziehen würde und auch auf Ithaka mit Orkanböen zu rechnen wäre. Bereits in 12 Stunden sollte es losgehen. An Schlaf wäre die nächsten 48 Stunden hier sowieso nicht zu denken, wenn man um sein Boot kämpfen müßte. Also fiel, nach viel Gebet um eine weise Entscheidung, der Entschluss, sofort noch weiter nach Norden auszuweichen. Doch wohin? Wir erinnerten uns an Korfu, wo wir in Gouvia Marina acht Jahre lang unser erstes Schiff liegen hatten; der einzig wirklich geschützte Hafen in der Region. Zudem waren sich alle Vorhersagemodelle einig, dass dort oben der Medicane ausgebremst werden würde. Starke nordöstliche Winde sollten auf den aus Südwesten anrauschenden Medicane treffen und sich, wie in einem „zweiten Auge“ des Orkans, neutralisieren. Also, nichts wie weg und die 120 sm hoch nach Korfu! Während noch viele Schiffe in den Naturhafen Vathi einliefen oder auf dem Weg in die Levkas Marina waren, gingen wir bei einbrechender Dunkelheit Anker auf.

Das war eine spannende Überfahrt! Im Westen begleitete uns teilweise taghelles Wetterleuchten und später „Blitzlichtgewitter“, das anfangs näher kam. Dazu nahmen Wind und Seegang immer mehr zu, bis wir am Vormittag nahe Korfu waren. Dort wurde es schlagartig ruhig und sogar sonnig, sodass uns ab dort sogar unser Volvo Diesel schieben musste. Es blieb sogar noch Zeit für einen Badestopp, bevor wir nach Gouvia Marina einliefen. Dort brach zwar noch beim Anlegen unsere Mooringleine aber unser freundlicher Nachbar gab uns netterweise seine zweite. 

Und dann waren wir gespannt, was da kommen möge. Tatsächlich kam die nächsten zwei Tage fast kein Wind, nur Regen, Regen, Regen. So gründlich war die Salzwasserkruste von der „Amazing Grace“ die letzten Monate nie abgewaschen worden. Wir lagen drei Tage völlig ruhig, wie in einem „zweiten Auge“ des Orkans. Inzwischen erreichten uns Bilder und Berichte von den Orten, wo wir gestern und vorgestern noch gelegen hatten. Zakynthos, Ithaka und Kephalonia hatten die volle Wucht des Orkans abbekommen, mit verheerenden Auswirkungen. Unser Mitgefühl gilt allen Betroffenen, insbesondere den anderen Seglern. 

Welche Lehren haben wir aus dem Medicane für uns gezogen? Es lohnt sich auf jeden Fall beim Wetter das „Big picture“ anzuschauen. Es reicht nicht, nur das lokale Seegebiet im Auge zu behalten, sonst kann man böse überrascht werden. Auch ist es wirklich wichtig, sich unterschiedliche Vorhersagemodelle anzuschauen um daraus die Quintessenz zu ziehen. Es ist dann sicher am sinnvollsten, im Zweifel die pessimistischste  Version für das Handeln zu Grunde zu legen.

Zu guter Letzt sind wir sehr dankbar, dass wir auch bei solchen Entscheidungen nicht alleine auf unsere Weisheit angewiesen sind, sondern uns unserem Gott und Schöpfer anvertrauen dürfen. Wir haben die Andachtsverse, die für den Tag unserer Nachtfahrt nach Korfu auf unser Handy kamen mit Staunen sehr persönlich genommen:

Ich bin der Herr, Dein Gott, der deine rechte Hand fasst und zu dir spricht: Fürchte dich nicht, Ich helfe Dir (Jesaja 41,13)

Als Petrus den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: „Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn. (Matthäus 14, 30-31)

Chris und Leni buchten sich neue Flüge von Korfu. Vorher konnten wir gemeinsam noch in Korfu Stadt gemeinsam schöne Erinnerungen aufleben lassen. Wir waren jetzt deutlich schneller auf Korfu angekommen als geplant, um von dort den Sprung nach Italien zu wagen. Schauen wir mal, wann sich dafür ein Wetterfenster auftut. 

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